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Der Digital Services Act – Die Arbeit kann beginnen

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Sharepic von D64. Im linken Drittel steht vor weißem Grund "D64 Zentrum für Digitalen Fortschritt". In den rechten zwei Dritteln steht vor einem Bild mit Europa-Fahnen auf blauem Grund "DSA: Verhaltenskodex statt Grundgesetz für das digitale Zeitalter. Blogpost. d-64.org"

Ein Grundgesetz für das Internet – so wurde der Digital Services Act (DSA) angekündigt. Heute, am 27. Oktober 2022, wurde das Papier im offiziellen Journal der EU veröffentlicht. Damit wird der DSA noch diesen Herbst in Kraft treten und ab Anfang 2024 anwendbar sein – mit Ausnahme einiger Bestimmungen für „very large online platforms“ (VLOPs), für die das Gesetz schon im Frühjahr 2023 greifen wird. Wir begrüßen, dass es mit dem DSA nun einen europäischen Rechtsrahmen gibt, der den Flickenteppich nationaler Regulierungsinitiativen beendet und die E-CommerceRichtlinie für die Realitäten unserer Zeit anpasst. Doch kann der DSA den Anspruch eines „Internet-Grundgesetzes“ erfüllen?

Wie jedes europäische Regulierungspaket ist auch der DSA Ausdruck politischer Kompromisse. D64 hat sich zu den Abwägungen bereits während der Verhandlungen in zwei Blogposts im Mai 2021 und Oktober 2021 eingebracht. Viele Aspekte sind positiv hervorzuheben: Der DSA bewahrt grundlegende Säulen der europäischen Rechtssetzung für den digitalen Raum, wie das Verbot der allgemeinen Überwachung, und setzt mit Sorgfaltspflichten in den Bereichen Inhaltemoderation, Transparenz und Datenzugang neue Standards. Allerdings greift der Vorschlag an einigen Stellen zu kurz. Er schafft es nicht, eine nachhaltige Vision für die Sicherung digitaler Grundrechte abseits der großen, kommerziellen Anbieter aufzuzeigen. 

Wo die Stärken des DSA liegen könnten

Der DSA macht vieles richtig: Die Grundprinzipien der E-CommerceRichtlinie – wie das erwähnte allgemeine Überwachungsverbot, das Herkunftslandprinzip und die Haftungsbeschränkungen – wurden beibehalten. Darüber hinaus setzt der DSA grundlegende Regeln, was Transparenzverpflichtungen sowie die Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden, die Moderation von Inhalten und den Schutz von Grundrechten angeht. Ein wichtiger Teil des DSA sind Maßnahmen, die darauf abzielen, Nutzer:innen und die Zivilgesellschaft zu ermächtigen, gegen Fehlverhalten und systemische Schwächen der Plattformen vorzugehen. So wird es Nutzer:innen durch einen ganzen Instanzenzug und vordefinierten Verfahren ermöglicht, gegen Inhaltemoderations-Entscheidungen vorzugehen.

Vielleicht die wichtigste Norm des DSA ist das Recht von Forscher:innen und zivilgesellschaftliche Organisationen, Zugang zu für ihre Forschung relevanten Daten zu beantragen – aktuell stochert jede Diskussion über die Auswirkungen von Moderationsmaßnahmen aus zivilgesellschaftlicher Perspektive ohne Datenzugang im Dunkeln.

Abgerundet wird der DSA durch ein komplexes Aufsichtssystem (siehe zum Beispiel Julian Jaursch zu Frage der Plattformaufsicht in Deutschland): Nationale Koordinator:innen für digitale Dienste („Digital Services Coordinators“, „DSC“)  werden für ihr jeweiliges Land Aufgaben der nationalen Durchsetzung übernehmen und gemeinsam als ein neues „Gremium“ die Europäische Kommission bei der Aufsicht über die sehr großen Online-Plattformen und Suchmaschinen unterstützen. Die Effektivität des Aufsichtssystems wird maßgeblich über den Erfolg des DSA entscheiden: nur wenn sich die neuen Aufsichtsbehörden als kundig und tatkräftig zeigen, werden die neuen Regeln konsequent durchgesetzt werden können. Wir sind optimistisch, denn das Design des Aufsichtssystems wurde unmittelbar von den Schwächen der DSGVO-Umsetzung inspiriert und die Eingriffsmöglichkeiten der Kommission wurden verbessert, sodass ein „race-to-the-bottom“ zwischen den Mitgliedsstaaten aus Gründen der Wirtschaftsförderung verhindert wird.

Wo im DSA noch nachgebessert werden sollte

Grenzüberschreitende illegale Inhalte 

Zentrales Thema des DSA ist die Moderation von Inhalten durch Plattformen. Als „illegaler Inhalt“ wird dabei jeder Inhalt angesehen, der gegen Unionsrecht oder das Recht eines Mitgliedsstaates verstößt (sofern dieses unionsrechtskonform ist). Das birgt große Gefahren: So könnten Privatpersonen, aber auch Behörden, Löschanträge wegen Verstößen gegen ihr nationales Recht beantragen, obwohl der Inhalt in allen anderen Mitgliedsstaaten legal ist. Ein Beispiel wären Protestaufrufe gegen den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, die von ungarischen Behörden als Aufrufe zu verbotenen Demonstrationen aufgefasst werden könnten.

Natürlich kann sich gegen eine Löschung der Inhalte gewehrt werden. Das Vorgehen dabei hängt jedoch davon ab, in welchem Land die Plattform ansässig ist, denn die Überprüfung und Durchsetzung des DSA geschieht durch die Aufsichtsbehörde des Landes, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Hier gilt es, besonders transparent in der Möglichkeit des Widerspruchs gegen die Löschung von Inhalten zu sein, damit Nutzer:innen verstehen, in welchem Land ihr Widerspruch behandelt wird und aufgrund welcher Regelungen ein Beitrag gegebenenfalls als illegal einzustufen ist.

Im DSA wird versucht diese Problematik anzugehen, indem er generell vorschreibt, dass Inhalte nur in dem Land „gelöscht“ werden sollten, in dem sie illegal sind (Q&A, DSA). Sollten es die durch den Inhalt (vermeintlich) gefährdeten Rechte jedoch erfordern, sind auch grenzüberschreitende Löschungen möglich. Es bleibt abzuwarten und zu beobachten, ob es zum missbräuchlichen Einsatz der Möglichkeit der grenzüberschreitenden Löschung von illegalen Inhalten kommt, und wie in einem solchen Fall die Widerspruchsmöglichkeiten greifen. Es könnte sich lohnen, an dieser Stelle im DSA zukünftig nachzuschärfen.

Meine Daten, deine Daten

Trotz des starken Fokus auf Nutzer:innenrechte und Datenschutz enttäuscht der DSA in einem zentralen Punkt: bei der Frage der proaktiven Bestandsdatenauskunft. Ähnlich wie auch schon nationale Gesetze, wie das deutsche NetzDG, führt der DSA in Artikel 18 die Verpflichtung für Plattformen ein, Nutzer:innendaten proaktiv an Strafverfolgungsbehörden auszuleiten, sobald ein Verdacht vorliegt, dass eine Straftat, die Gefahr für Leib und Leben oder die Sicherheit einer Person darstellt, begangen werden könnte oder wurde.

Aktuell ist noch unklar, wie extensiv diese proaktive Auskunftspflicht in der Praxis sein wird, da der DSA illegale Inhalte nicht definiert, und auch nur wenige Hinweise gibt, welche Straftaten unter diese Vorschrift fallen werden. Hinzu kommt, dass andere Gesetze, wie die Verordnung zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte (TCO), bereits ähnliche Verpflichtungen für spezifische Inhaltekategorien enthalten. Außerdem heißt es im DSA nur sehr unpräzise, dass „alle relevanten Informationen“ ausgeleitet werden müssen. Das könnte, je nach Anwendung im Einzelfall, auch sensible Daten wie IP-Adressen, E-Mail-Adressen, private Nachrichten und Ähnliches erfassen.

Auch wenn aktuell noch unklar ist, wie diese Verpflichtung in der Praxis angewandt beziehungsweise national implementiert wird, ist davon auszugehen, dass Plattformen dazu verpflichtet werden, massenhaft Nutzer:innendaten an Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben – ohne Richtervorbehalt, ohne begründeten Anfangsverdacht und ohne ausreichende Vorkehrungen für den Schutz von Nutzer:innendaten in den Händen von Strafverfolgungsbehörden. Gerade mit Blick auf die mangelnden Kompetenzen und Kapazitäten von deutschen Strafverfolgungsbehörden, zuletzt von Jan Böhmermann thematisiert, ist es fraglich, ob ein Mehr an Hinweisen tatsächlich zu effektiverer Polizeiarbeit in Deutschland führen würde. 

Statt zunehmend mehr Daten zu fordern und dabei den Datenschutz zu opfern, wäre es sinnvoller, in die Ermittlungsressourcen der Strafverfolgungsbehörden zu investieren, dort insbesondere für Hasskriminalität, Stalking sowie Cybermobbing zu sensibilisieren und auf Alternativen wie die Login-Falle zu setzen, die die Rechte von Nutzer:innen ernst nehmen.

Wenn kein Grundgesetz, dann …? 

Der DSA ist ein Ansatz für gemeinsame europäische Rahmenbedingungen und beendet den Flickenteppich aus nationalen Lösungen. Durch die Fokussierung auf konkrete Anwendungsfälle stufen wir den DSA jedoch eher als Fortentwicklung der Verhaltenskodizes, statt als Grundgesetz für das digitale Zeitalter ein. 

Doch die Arbeit ist mit der Verabschiedung des DSA noch nicht beendet. Denn auch wenn es einige sehr positive Dinge hervorzuheben gibt, greift das Regelwerk an anderen Stellen noch zu kurz und es fehlt an Eindeutigkeit, die im Zweifelsfall vor Gericht geschaffen wird.

Daher kann der DSA nicht alleine stehen und seine effektive Durchsetzung sollte von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen wie D64 weiter begleitet werden. Dafür gibt es in Deutschland auch schon einige Vorschläge, wie die Plattformräte, die auch im Koalitionsvertrag festgehalten sind. 

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